Natur als Entwicklungsraum. Wie kindliches Lernen auch funktioniert
Elisa Morel
Die Natur bietet Kindern eine große Vielfalt an Spiel- und Lernmöglichkeiten, die dem kindlichen Entdeckungsdrang entspricht. Außerdem finden sie in der Natur viele Reize, die ihre Kreativität beflügeln.
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Dazu passt ein Sprichwort, das man oft im Zusammenhang mit kindlichem Lernen in der Natur findet: Gibt man Kindern eine Hütte, dann machen sie daraus Kleinholz. Gibt man ihnen Kleinholz, dann bauen sie daraus eine Hütte. Naturerfahrungen sind also eine tolle Möglichkeit für Kinder, mit ihrer Umwelt in Kontakt zu treten, sie aktiv mitzugestalten und zu schützen. Wer einen Bezug zu Natur und Umwelt entwickelt, wird sie lieben lernen. Und man schützt, was man liebt.
Zwei Drittel der Kinder in Deutschland leben in Städten und sind von der Natur entfremdet, da sie nicht unmittelbar von ihr umgeben sind. Dieser Mangel an Naturerlebnissen steht auch oft in Zusammenhang mit kindlichen Entwicklungsdefiziten, die in den letzten Jahrzehnten zugenommen haben. Umso wichtiger ist es für Kinder, im Alltag Naturerfahrungen zu machen und die Möglichkeiten zu nutzen, die ihr direktes Umfeld ihnen bietet – auch in der Stadt.
In diesem Beitrag stellen wir Ihnen u. a. ein paar Ideen vor, mit denen die Erkundung der Natur für Kinder auch in der Stadt gelingt und zeigen Ihnen, wie Sie Ihren SuS mit geringem Aufwand zu wertvollen Naturerlebnissen verhelfen.
Inhalt
1. Natur und kindliches Lernen
1.1. Der Mensch und die Natur – früher und heute
1.2. Bewusstsein für Nachhaltigkeit entwickeln
1.3. Erfolgserlebnisse durch praktisches Handeln
1.4. Sinneseindrücke in der Natur erleben
2. Die vielen Facetten der Erlebnispädagogik
2.1. Wegbereiter der Erlebnispädagogik
2.2. Ziele der Erlebnispädagogik (heute)
3. Praktische Tipps für mehr Natur im Alltag
3.1. Schnitzeljagd im Park
3.2. Spaziergang durch die Kleingartenanlage
3.3. Barfußpfad, Fühl-Säckchen und Fühl-Memory aus Naturmaterialien
3.4. Wettbewerbe, Mitmachprojekte, Forscheraktionen, Erlebnisfreizeiten, Jugendfarmen und Erlebnisspielplätze
Die vielen Facetten der Erlebnispädagogik
Waldkindergärten, grüne Klassenzimmer, Schulgärten und Schulzoos, Ausflüge in den Kletterpark oder ein Segeltörn als Klassenfahrt: All das und noch viel mehr ist Erlebnispädagogik, bei der das handlungsorientierte Lernen besonders im Fokus steht. In unseren Beiträgen »Im Waldkindergarten« und »Das Grüne Klassenzimmer« finden Sie noch mehr hilfreiche Informationen.
Reflexion ist unerlässlich
Bei allen erlebnispädagogischen Projekten und Erfahrungen ist die abschließende Reflexion ein unverzichtbarer Bestandteil, um das Erlebte und Gelernte zu verinnerlichen. Nur so ist gewährleistet, dass auch der Transfer der Erfahrungen in den Alltag gelingt: Was habe ich gelernt, was davon kann ich in meinem Alltag anwenden, inwiefern verändert das Erlebte meine Sichtweise, meine Werte, mein zukünftiges Handeln?
Wegbereiter der Erlebnispädagogik
Lange bevor der Begriff »Erlebnispädagogik« in den 1970er Jahren geprägt wurde, gab es bereits einige Wegbereiter, deren Einfluss bzgl. des handlungsorientierten Lernens unverkennbar ist:
John Locke (1632 – 1704)
- ging in seiner Lehre davon aus, dass Kinder bei ihrer Geburt ungeprägt und unbedarft sind
- lehnte strenge Zucht und Ordnung in der Schule ab, Erziehung soll die Individualität fördern
Jean Jacques Rousseau (1712 – 1778)
- über gefühlsgesteuertes Erkennen zur Vernunft
- Einfachheit, natürliche Bewegung in der Natur, unmittelbares Erleben mit allen Sinnen, Erwerb von Selbstständigkeit, Lernen aus Erfahrung
Johann Heinrich Pestalozzi (1746 – 1827)
- ganzheitliches Lernen mit Kopf, Herz und Hand
- Liebe, gelebte Gemeinschaft, Fürsorge, Gemeinsinn und Dankbarkeit statt Lernen durch Belehrungen
Maria Montessori (1870 – 1952)
- Fokus auf die Individualität des Kindes, kindliche Neugier wecken und fördern
- Kinder sollen frei und ohne Wertung lernen, Freude am selbsttätigen Lernen entwickeln
- Learning by Doing
- Erfahrungen erwerben, um zu handeln, und durch Handeln Erfahrungen erwerben
- Reflexion ist unverzichtbar
- durch die fortgeschrittene Zivilisation verlieren Kinder körperliche Fähigkeit, Empathie, Kreativität und Sorgfalt
- aktives Handeln in der Gruppe fördert die Kompetenzen der Kinder
Ziele der Erlebnispädagogik (heute)
Heutzutage liegt der Fokus der Erlebnispädagogik weniger auf der körperlichen Ertüchtigung als noch bei Kurt Hahn. Vielmehr sollen die Kinder Freude an Bewegung und ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit entwickeln.
Im Mittelpunkt steht immer das handlungsorientierte, ganzheitliche Lernen in der Gruppe. Die Lehrenden begleiten diesen Prozess und geben den Kindern möglichst viel Autonomie. So machen die Kinder selbstgesteuert und in sozialer Interaktion ihre Lernerfahrungen.
Ein recht neuer Teilbereich der Erlebnispädagogik ist City Bound. Diese Methode konzentriert sich auf erlebnispädagogische Aktivitäten in der Stadt. Sie gibt Kindern die Möglichkeit, nicht alltägliche Erfahrungen mit bestimmten Personen- bzw. Berufsgruppen oder Institutionen zu machen. So führen sie z. B. Interviews mit unterschiedlichen Personengruppen wie Straßenkünstlern oder besichtigen die örtliche Feuerwehr. Im Fokus steht neben dem sozialen Lernen und aktiven Handeln die Verbindung mit der gegebenen Infrastruktur in der eigenen Stadt. Dabei werden z. B. Fußgänger- und Einkaufszonen, Mitbürgerinnen und -bürger, der ÖPNV, Parks und weitere Herausforderungen einbezogen.
Praktische Tipps für mehr Natur im Alltag
Es muss nicht gleich ein Urlaub auf dem Bauernhof oder Camping im Wald sein. Ideen, mit denen Sie die Natur in den Schulalltag integrieren, haben wir nachfolgend für Sie zusammengestellt:
Schnitzeljagd im Park
Bestimmt gibt es bei Ihnen in der Nähe einen kleinen Park, den die meisten Kinder sogar vielleicht schon kennen. Erkunden Sie ihn gemeinsam mit Blick auf die Details: Was wächst dort, was lebt dort, was kann man beobachten? Starten Sie mit Ihren SuS doch eine Rallye. Unsere Arbeitsblätter helfen bei Vorbereitung und Umsetzung.
Vielleicht bietet der Park bei Ihnen um die Ecke auch noch weitere Möglichkeiten, z. B. einen Lageplan, anhand dessen sich die Kinder orientieren können. Beim Erkunden des Parks in Kleingruppen (unter Beaufsichtigung einer Begleitperson), fördern Sie spielerisch die Kommunikations- und Teamfähigkeit der Kinder:
- Wer übernimmt welchen Bereich des Parks?
- Wer erledigt bestimmte Aufgaben?
- Wer kennt den Park gut und übernimmt die Führung?
- Wer bekommt den Müllgreifer?
Nach der gelungenen Schnitzeljagd gibt es außerdem zahlreiche Möglichkeiten der Vertiefung:
- Wie heißen die Baumarten (und Früchte) der gefundenen Blätter? Sie können die Blätter auch pressen und ein Herbarium erstellen.
- Wie heißen die beobachteten Vögel und was wissen wir über sie? Wie klingen die Vogelstimmen?
- Was lässt sich aus gefundenen Gegenständen wie Federn basteln?
- Wie heißen die Hunderassen, die im Park spazieren waren?
- Warum sind Parks und Natur wichtig für uns Menschen?
Gleichzeitig bietet der von den Kindern gesammelte Müll einen guten Einstieg ins Thema Littering (s. Arbeitsblatt). Vielleicht stellen Sie aus dem Müll gemeinsam auch ein Kunstwerk oder eine Collage her, um auf das Thema aufmerksam zu machen!?
Spaziergang durch die Kleingartenanlage
Wenn es in Ihrer näheren Umgebung an Seen oder Wäldern mangelt, ist auch eine Erkundungstour im Schrebergarten eine tolle Möglichkeit, Kindern die Natur näherzubringen. Dafür müssen Sie nicht selbst einen Schrebergarten besitzen, aber vielleicht besitzt sogar die Familie eines Kindes eine Parzelle und freut sich auf einen Besuch.
Schon ein Spaziergang durch die Schrebergartenanlage bietet viele spannende Fragen und Naturerlebnisse. Die Kinder machen beispielsweise Fotos, sodass sie sich anschließend im Unterricht oder zu Hause mit dem Gesehenen weiter beschäftigen können:
- Wie viele verschiedene Blumen und Straucharten gibt es zu entdecken? Wie heißen sie?
- Wie heißen die Gemüse- und Obstsorten in den Gärten? Was wächst unterirdisch, was überirdisch? Wann sind die Früchte reif und was kann man Leckeres aus ihnen zaubern? Welche Gemüse- oder Obstsorten haben die Kinder vielleicht noch nie gegessen?
- Welche Insekten gibt es auf den Blumen zu entdecken? Warum sind Insekten wichtig für die Natur?
- Welche Vögel gibt es zu sehen und zu hören?
Fertigen Sie mit Ihren SuS doch aus den schönsten Fotos ein Plakat mit Steckbriefen zu den Pflanzen und Tieren an und präsentieren Sie es im Klassenraum vor Ort oder online.
Barfußpfad, Fühl-Säckchen und Fühl-Memory aus Naturmaterialien
Nutzen Sie einen Spaziergang im Park dazu, um unterschiedliche Materialien zu sammeln:
- Blätter
- Gräser
- Moos
- Steinchen
- Stöckchen
- Erde
- Sand
- Eicheln, Kastanien, Bucheckern, Ahorn- oder Platanensamen
- Grassamen
- Pappelpollen
Machen Sie mit Ihren SuS anschließend z. B. einen Barfußpfad, ein Fühl-Memory, Fühlsäckchen oder ein Mobile draus.
Wettbewerbe, Mitmachprojekte, Forscheraktionen, Erlebnisfreizeiten, Jugendfarmen und Erlebnisspielplätze
Die Internetpräsenzen des Naturschutzbundes sowie des Bundes der Jugendfarmen und Aktivspielplätze e.V. haben zahlreiche Projekte im Angebot, die zum Kennenlernen und Schützen der Natur in Ihrer Nähe einladen. Jugendfarmen bieten viele interaktive Spielangebote und Natur zum Anfassen wie Streichelzoos oder Gemüsegärten – oft auch im Rahmen einer Ferienbetreuung, eines Schulbesuchs oder eines Kindergeburtstages.
Lassen Sie sich inspirieren und begeben Sie sich mit Ihren Schützlingen auf Spurensuche in Flora und Fauna.
Lesestoff:
Adressen von Jugendfarmen und Erlebnisspielplätzen: https://www.bdja.org/standorte/google-maps-uebersicht/
Broschüre zum Thema Erlebnispädagogik: https://bit.ly/2SGpZSr
Artikel über eine tschechische Studie über Naturerfahrungen bei Kindern: https://www.businessinsider.de/leben/kinder-haben-mehr-erlebnisse-in-der-natur-als-noch-vor-120-jahren/
Monique Kerschefski, „Naturentfremdung und kindliche Entwicklung“ Warum Naturerlebnisse so wichtig sind, erschienen auf Natursoziologie.de 10/2017
Auszug aus der Diplomarbeit „Naturerlebnis in Kindertagesstätten – Die Umgestaltung des Kita-Spielplatzes in Cölpin unter naturpädagogischen Aspekten“ erstellt am Fachbereich „Landschaftsarchitektur, Geoinformatik, Geodäsie und Bauingenieurwesen“ der Hochschule Neubrandenburg im Studiengang: „Landschaftsarchitektur und Umweltplanung“ 2010 https://bit.ly/3hpiFmM
Ideen, Wettbewerbe und Projekte zum Thema Natur für Kindern: https://www.nabu.de/wir-ueber-uns/organisation/naju/kinder/index.html
Artikel über die Wegbereiter der Erlebnispädagogik: https://www.neverest.at/blog/die-hintergruende-der-erlebnispaedagogik/
Diana Schrieber, ERLEBNISPÄDAGOGIK – Ein Überblick zum erlebnisorientierten Lernen durch den Kopf, die Hand und das Herz: https://bit.ly/3AjItcs
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