Das Grüne Klassenzimmer: Pädagogische Wege in die Natur
Christine Hagemann
Warum sollte die Schule Naturerfahrung vermitteln? Weil Umweltbewusstsein am besten im Kontakt mit der Natur gedeiht. Das Grüne Klassenzimmer ist dafür der ideale Lernort.
© Marcel, Adobestock.com
Naturschutz ist ein wichtiges Bildungsthema. Bereits in der Grundschule sollen Kinder ökologische Zusammenhänge verstehen lernen, damit sie unsere natürliche Umwelt wertschätzen und achtsam behandeln. Doch Naturerfahrungen sind im Alltag von Stadtkindern kaum noch möglich. Wie lässt sich Umweltwissen im Unterricht vermitteln, ohne dass es trockener Lernstoff ist?
Das Grüne Klassenzimmer schafft echte Naturerlebnisse, die nur im direkten Kontakt mit Pflanzen und Tieren möglich sind. Hier entdecken Kinder die Natur mit ihren faszinierenden Formen, Farben und Düften hautnah. Lesen Sie in diesem Beitrag, was das Grüne Klassenzimmer alles kann und wie Sie Ihren Unterricht naturnah gestalten. Planungshilfen zum Ausdrucken inklusive.
Inhalt
1. Warum Naturerfahrung für Kinder so wichtig ist
1.1 Umweltwissen allein reicht nicht
1.2 Mehr Natur macht glücklich
1.3 Naturerleben macht schlau
2. Was zeichnet das Grüne Klassenzimmer aus?
3. Wie gestalte ich das Grüne Klassenzimmer?
3.1 Die Gemüseklasse im Schulgarten
3.2 Natur fühlen auf dem Sinnespfad
3.3 Lernen unter freiem Himmel
Warum Naturerfahrung für Kinder so wichtig ist
Klimawandel, Artensterben und der Raubbau an natürlichen Ressourcen haben Umweltthemen in den Blick der Öffentlichkeit gerückt. Die Lösungsansätze der Politik erscheinen jedoch halbherzig. Dabei werden unsere Kinder in noch viel stärkerem Maß davon betroffen sein.
Was bedeutet Umweltbewusstsein in der heutigen Zeit? Zunächst die Einsicht, dass unsere natürlichen Lebensgrundlagen in Gefahr sind, und zwar durch die Menschen selbst. Verbunden mit der Bereitschaft zur Abhilfe. Doch Umweltbewusstsein lässt sich nicht verordnen. Es wächst erst im persönlichen Naturerleben.
Umweltwissen allein reicht nicht
Das Dilemma der Umweltbildung ist, dass mehr Wissen offensichtlich nicht zu besserem Handeln führt. Worauf es ankommt, ist die emotionale Einstellung zur Natur. Nur wer sich mit der Natur verbunden fühlt, ist auch bereit, umweltbewusst zu handeln. Diese Einstellung wird schon in der Kindheit geprägt durch eigene Naturerfahrung. Kinder, die in engem Kontakt zur Natur aufwachsen, sind stärker motiviert, sich aktiv für Natur- und Umweltschutz einzusetzen.
Mehr Natur macht glücklich
Naturnähe wirkt sich positiv auf das körperliche und seelische Wohlbefinden aus. Im Klassenzimmer genügt schon die Anwesenheit von Grünpflanzen, um das Klassenklima zu verbessern. Die Kinder verhalten sich entspannter, sind ausgeglichener und seltener krank, wie Studien an Grundschulen belegen. Auch auf dem Pausenhof bewirken Pflanzkübel und Blumenbeete wahre Wunder. So kann man beobachten, dass sich Kinder auf naturnah gestalteten Schulhöfen ruhiger und deutlich weniger aggressiv verhalten.
Entwicklungsforscher stellen fest: Kinder mit viel Natur in ihrem Lebensumfeld sind psychisch stabiler und haben ein besseres Selbstwertgefühl. Beispielsweise empfinden viele Kinder mit ADHS im Wald mehr positive Gefühle wie Freude und Selbstsicherheit als in einem Gebäude. Auch in Fällen, in denen Kinder belastende Erlebnisse emotional verarbeiten müssen, hat die Natur eine puffernde, erholsame Wirkung.
Naturerleben macht schlau
Das selbsttätige Erkunden von Naturphänomenen im Grünen Klassenzimmer weckt nicht nur das Interesse der Kinder, es verbessert auch ihre kognitiven Fähigkeiten. Dies bestätigen Tests mit Kindern, die einen Naturkindergarten besucht haben. In der Grundschule zeigen diese Kinder mehr Kreativität, besonders rege Mitarbeit im Unterricht, sprachliche Gewandtheit und sehr gute Leistungen im Sachunterricht.
Die Grundschule legt das Fundament für die naturwissenschaftliche Bildung. Das Grüne Klassenzimmer liefert dazu einen wichtigen Beitrag, denn die Natur regt Kinder zu immer neuen Fragen an. Lehrkräfte können diese Fragen aufgreifen und somit Lernprozesse, die von den Kindern ausgehen, situationsbezogen vertiefen.
Lesen Sie mehr zum positiven Einfluss der Natur in unserem Beitrag über den Waldkindergarten.
Was zeichnet das Grüne Klassenzimmer aus?
Umweltbildung im Freien – das bedeutet erlebnisorientierter Unterricht und Lernen mit allen Sinnen. Das Grüne Klassenzimmer bietet dabei mehr als nur gelegentliche Ausflüge ins Grüne. Es ist ein fester Lernort, wo die Kinder regelmäßig Zeit in der Natur verbringen, immer neue Beobachtungen sammeln und durch naturnahe Projekte selbsttätig ihr Wissen erweitern.
Ist das nicht die Idee des guten alten Schullandheims? Ja, genau. Heutige Umweltpädagogen bedauern sein Verschwinden und plädieren dafür, diesen Ansatz neu zu beleben. Im Idealfall verfügt die Schule über solch eine Außenstation in ländlicher Umgebung mit Übernachtungsmöglichkeiten, vielleicht sogar im Zeltlager. Hier kommen neben fachlichen Aspekten auch kooperatives Lernen sowie lebenspraktische und soziale Fähigkeiten besonders zur Entfaltung.
Tipp: Für Schulen im städtischen Raum gibt es verschiedene Angebote von Parkverwaltungen, die naturnahe Kurse im Grünen Klassenzimmer veranstalten. Schulklassen können sich aus dem Kursprogramm interessante Themen auswählen. Die Kurse finden meist vormittags von Mai bis September statt.
Rund um die Schule können Grüne Klassenzimmer auf jeder Freifläche entstehen. Am besten eignet sich ein Garten, der zur Schule gehört oder zumindest schnell erreichbar ist. Doch in jedem Außenbereich und sogar auf dem Schulhof lassen sich Pflanzkübel aufstellen und Beete anlegen, die zu Naturerkundungen einladen. Wichtig ist, dass die Kinder im Grünen Klassenzimmer selbst aktiv werden.
Erlebnisorientierter Unterricht im Grünen Klassenzimmer fördert das Umweltbewusstsein.
Wie gestalte ich das Grüne Klassenzimmer?
Beginnen Sie mit einer Ideensammlung. Ihre Planung hängt davon ab, für welches Projekt Sie sich entscheiden, und natürlich vom Platzangebot. Die folgenden Beispiele veranschaulichen, wie ein Grünes Klassenzimmer aussehen kann.
Ideen für das Grüne Klassenzimmer:
- Tische und Bänke unter freiem Himmel
- Gemüseanbau im Schulgarten
- ein Vierjahreszeiten-Beet mit Blumen
- Schülerbeete zur freien Bepflanzung
- ein Sinnesgarten oder Sinnespfad
- natürliche Bereiche mit Wildwuchs
- ein Kübelgarten mit Kräutern oder Blumen
- mobile Pflanzkisten und Hochbeete
- ein Klassenzimmer aus Baumstämmen
Die Gemüseklasse im Schulgarten
In der Grundschule ist gesunde Ernährung ein zentrales Thema. Stadtkinder kennen Gemüse meist nur aus dem Supermarkt. Sie haben keinen Bezug mehr zum Anbau von Nahrungsmitteln. Was liegt da näher, als Gemüse und Kräuter selbst aufzuziehen? Die Kinder dürfen mitentscheiden, was angepflanzt wird. Beim Gärtnern erfahren sie jede Menge über natürliche Prozesse und lernen, sorgfältig mit Lebensmitteln umzugehen.
Empfehlenswert zum Thema Schulgarten ist das Bildungsprogramm der GemüseAckerdemie. Das Programm ist ein Beitrag zur Agenda 2030, die eine gerecht und nachhaltig handelnde Weltgemeinschaft anstrebt. https://www.gemueseackerdemie.de
Praxistipps für ökologisches Gärtnern mit Kindern finden Sie in unserem Beitrag »Wächst Gemüse im Supermarkt?«
Tipp: Überlassen Sie einen Bereich Ihres Gartens dem natürlichen Wildwuchs. Einschließlich Brennnesseln für Schmetterlingsraupen, Totholz als Insektenhotel, Laubhaufen für Igel oder Tümpel für Frösche und Libellen. Das ermöglicht Kindern, auch tierische Gartenbewohner in ihrem natürlichen Lebensraum zu beobachten und ökologische Kreisläufe zu verstehen.
Natur fühlen auf dem Sinnespfad
Ein Kerngedanke des Sinnespfads ist, die Natur bewusst über verschiedene Sinnesreize zu erfahren. Das macht Kindern viel Spaß, vor allem wenn sie barfuß laufen dürfen. Die Stimulation gibt ein intensiveres Körpergefühl, verbessert die Sensomotorik und fördert die Wahrnehmungs- und Denkfähigkeit. Duftende Blumen und Kräuter runden das Projekt Sinnespfad perfekt ab.
Für die Anlage eines Sinnespfads im Außenbereich ist eine Rasenfläche ideal. Besonders gut eignen sich Materialien, die das ganze Jahr über draußen verbleiben können. Wie zum Beispiel Kies, Sand, Rindenmulch, Moos, Kastanien und Fichtenzapfen. Gestalten Sie den Fühlpfad immer so, dass sich Materialien mit starken Reizen und solche mit schwachen Reizen abwechseln.
Tipp: Bereits bei der Planung sollten Sie die Eltern ins Team holen. Bestimmt sind viele Eltern von diesem Projekt begeistert und gerne bereit, tatkräftig mit anzupacken. Veranstalten Sie einen Aktionstag, an dem alle gemeinsam den Sinnespfad fertigstellen. Erfahren Sie in unserem Beitrag mehr dazu, wie Sie einen spannenden Barfuß-Sinnespfad gestalten.
Lernen unter freiem Himmel
Zum Grünen Klassenzimmer im Schulgarten gehören Gartengeräte und ein Geräteschuppen. Ein mobiles Gewächshaus ist perfekt zur Anzucht von Pflanzen. Auch für Exkursionen in der freien Natur benötigen Ihre Schüler sachgerechte Forscher-Utensilien. Zur Ausrüstung gehören neben Gummistiefeln auch Becherlupe und Kescher, bis hin zu Kindermikroskop und Blumenpresse.
Damit Ihre Schüler mit Fachbüchern arbeiten und Inhalte notieren können, statten Sie das Grüne Klassenzimmer mit Tisch und Bänken aus. Am besten eignen sich fest installierte, wetterbeständige Outdoor-Möbel. Hier basteln die Kinder oder werten ihre Fundstücke aus. Dieses Klassenzimmer unter freiem Himmel steht jederzeit zur Verfügung, wenn die Sommersonne nach draußen lockt.
Tipps & Ideen für den Unterricht im Grünen Klassenzimmer
Umweltbildung wird gegenwärtig immer wichtiger. Ausgehend von den Naturerfahrungen der Kinder sollten daher Umweltthemen vertieft werden. Hierzu bietet insbesondere Schulgartenarbeit gute Ansätze. Der Umgang mit selbst angebauten Lebensmitteln verändert das Konsumverhalten. So wächst auch das Bewusstsein dafür, wie massiv sich unsere Ernährungsweise auf die Umwelt auswirkt – mit weltweiten Folgen!
Das Grüne Klassenzimmer fördert Kompetenzen, die für die Gestaltung einer nachhaltig verträglichen Zukunft erforderlich sind. Die folgenden Inhalte können die Lehrplanthemen ergänzen:
- Wildwuchsflächen als natürliches Biotop erkunden
- Mit Pflanzen aus aller Welt andere Naturräume kennenlernen
- Fragen der globalen Ernährungsgerechtigkeit verstehen
- Ökologische Bedingungen für nachhaltige Landwirtschaft aufzeigen
- Globale Bedeutung nachwachsender Rohstoffe erkennen
- Modenschau mit Naturtextilien
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) – so heißt das UNESCO-Weltaktionsprogramm, dessen Ziel das Vermitteln von Wissen und Werten ist, um zukunftsfähiges Denken sowie entsprechendes Handeln zu fördern. Es ermöglicht jedem Einzelnen, die globalen Auswirkungen des eigenen Handelns zu verstehen. Eine breite Palette an Lehr- und Lernmaterialien rund um dieses Programm finden Sie hier: https://www.bne-portal.de/de/lernmaterialien-2454.php
Die folgenden Beispiele aktueller Kinderbücher vermitteln die Themen Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Klimawandel auf spannende Weise:
- Christina Hagn: Vom kleinen Eisbären, dem es zu warm geworden ist. München: Oekom 2020.
- Wenke Heuts: Benja & Wuse. Essensretter auf großer Mission. München: Oekom 2021.
- Nicole Intemann: Plastian, der kleine Fisch … und wie er mit seinen Freunden auf einer abenteuerlichen Reise die Welt ein bisschen besser macht. München: Oekom 2015.
Eine Planungshilfe für Ihre Projekte im Grünen Klassenzimmer finden Sie hier:
Zum Weiterlesen:
Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (Hrsg.): Lernort Schulgarten. Projekte aus der Praxis. Broschüre Din A4, 2018.
Martin Ehrlinger, Frauke Feuss (Hrsg.): Nachwachsende Rohstoffe als Bildungsthema. Ansätze für die Praxis. München: Oekom 2011.
Daniel Fischer u. a. (Hrsg.): Nachhaltigkeit erzählen. Durch Storytelling besser kommunizieren? Deutsche Bundesstiftung Umwelt. München: Oekom 2021.
Die GemüseAckerdemie – für eine Generation, die weiß, was sie isst. Projektbegleitung und Bildungsmaterialien. https://www.gemueseackerdemie.de
Anne-Kathrin Lindau u. a.: Wilde Nachbarschaft. Wildnisbildung im Kontext einer Bildung für nachhaltige Entwicklung. Deutsche Bundesstiftung Umwelt. München: Oekom 2021.
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