Der Situationsorientierte Ansatz: So unterstützen Sie Kinder bei der Verarbeitung von Erlebtem
Christine Hagemann
Was hilft Kindern, belastende Erlebnisse zu verkraften? Das fragen sich Eltern und Erzieher gegenwärtig ganz besonders. Der Situationsorientierte Ansatz bietet Antworten.
© Oskana Kuzmina, Adobestock.com
Auch wenn die Kleinen in der Corona-Zeit wieder in die Kita dürfen, ist noch längst nicht alles wie immer. Gerade jüngere Kinder verstehen nicht, was momentan geschieht, spüren jedoch die Sorgen der Erwachsenen. Diffuse Ängste können hilflos und sprachlos machen – und sich tief eingraben. Ein erlebensreiches Projekt, das Kindern bei der Verarbeitung hilft, kommt da genau zur rechten Zeit.
Im Situationsorientierten Ansatz finden Erzieher ein pädagogisches Handlungsmodell, um Kinder in ihrer gesunden Entwicklung zu unterstützen. Wie sieht dieses Konzept aus und worin liegt der Unterschied zum Situationsansatz? Lesen Sie in diesem Beitrag, was der Situationsorientierte Ansatz bezweckt und wie Sie damit in der Kita Projekte gestalten.
Inhalt
1. Was meint der Situationsorientierte Ansatz?
1.1 Ausgangspunkt ist die Lebenswelt der Kinder
1.2 Grundgedanken eines ganzheitlichen Konzepts
2. Wie plane ich Projekte im Situationsorientierten Ansatz?
2.1 Ausdrucksformen der Kinder beachten
2.2 Die 7 Schritte der Projektarbeit
Wie plane ich Projekte im Situationsorientierten Ansatz?
Kinder drücken ihre Bedürfnisse durch ihr Verhalten aus, sie teilen sich mit durch ihr Spielen und Erzählen, ihre Träume und Bilder. Die Erzieher – besser gesagt: Entwicklungsbegleiter – haben die Aufgabe, die Lebensereignisse der Kinder zu verstehen und in pädagogische Impulse zu übertragen, um ihnen bei der Verarbeitung zu helfen.
Ausdrucksformen der Kinder beachten
Damit Sie die Erlebnisse, Erfahrungen und Eindrücke des Kindes aufgreifen können, beobachten Sie seine Ausdrucksformen. Manches lässt sich direkt erkennen, etwa wenn das Kind davon erzählt, oftmals aber indirekt und verschlüsselt, beispielsweise in Zeichnungen und Tag- oder Nachtträumen.
Indem das Kind sich mit seiner aktuellen Lebenssituation beschäftigt, kommt es seelisch ins Gleichgewicht. Danach kann es sich neuen Herausforderungen stellen. Jeder Ausdruck hat einen besonderen Bedeutungswert für das Kind und hilft ihm, Gedankenbilder und Gefühle zu verarbeiten. Dies ist auch aus neurobiologischer Sicht notwendig, damit das Kind neue Handlungsmöglichkeiten entwickeln kann.
Die 7 Schritte der Projektarbeit
Im Mittelpunkt der Projekte stehen die individuellen Erfahrungen einzelner Kinder in bestimmten Situationen, sowie mögliche Ursachen. Dabei geht es um folgende Fragen:
- Was beschäftigt das Kind gerade?
- Welche Entwicklungsschritte macht das Kind?
- Welche Gefühle zeigt das Kind und wie ist es in der Gruppe integriert?
- Woran ist das Kind interessiert und was könnte sein Interesse erweitern?
- Was will das Kind durch sein Verhalten mitteilen?
Die Projektplanung im Situationsorientierten Ansatz verläuft systematisch in 7 Schritten:
- Beobachten Sie jedes Kind in der Gruppe und achten Sie dabei besonders auf die jeweiligen Ausdrucksformen der Kinder.
- Werten Sie die kindlichen Ausdrücke aus, indem Sie die intensivsten Formen erfassen und deren Bedeutung entdecken: Was drückt das Kind damit aus? Was sucht das Kind? Was braucht es, damit sein entwicklungsförderliches Verhalten gestärkt werden kann?
- Um Schwerpunkte zu erkennen, vergleichen Sie die individuellen Lebenspläne und stellen bestimmte Häufigkeiten fest.
- Besprechen Sie zusammen mit den Kindern das Projekt, indem Sie von einem beobachteten Beispiel ausgehen, das zum Projektschwerpunkt passt. Fragen Sie die Kinder, ob sie dieses oder ein ähnliches Gefühl oder Erlebnis schon aus anderen Situationen kennen. Alle Situationen werden gesammelt.
- Ordnen Sie die gesammelten Situationen – ohne die Kinder – und bereiten Sie ergänzende Aktivitäten vor, beispielsweise durch Lieder, Musizieren, Werkarbeiten, Bücher, Märchen, Rollenspiele, Bewegungsspiele.
- Nun werden die Aktivitäten gemeinsam umgesetzt. Halten Sie jeden Tag die von den Kindern erzählten Besonderheiten in einem pädagogischen Tagebuch schriftlich fest. Ein Projekt kann über einen Zeitraum von sechs Wochen bis zu einem halben Jahr laufen. Dabei ist ganz wichtig, dass Sie alle Bildungsbereiche integrieren, wie sie in den Richtlinien Ihres jeweiligen Bundeslandes beschrieben sind.
- Die Auswertung des Projekts findet zusammen mit den Kindern statt. Die gesammelten Dokumente dienen als Gesprächsgrundlage. Anschließend kann gleich ein neues Projekt geplant werden.
Wichtig: Situationsorientierte Projekte sind gut geeignet, um Kinder emotional zu entlasten, doch sie sind kein Allheilmittel. Der Umgang mit kindlichen Ausdrücken erfordert viel Feingefühl. Unter Umständen sendet ein Kind Signale, die gravierende tieferliegende Probleme andeuten. Damit sind Erzieherinnen und Erzieher überfordert. Bei Verdachtsmomenten sollte Sie unbedingt die Eltern ansprechen und gegebenenfalls fachkundige therapeutische Hilfe suchen.
Besondere Chancen des Situationsorientierten Ansatzes
Ein elementarpädagogisches Handlungsmodell, das jegliche pädagogische Bevormundung vermeidet: Der Situationsorientierte Ansatz nimmt Kinder und ihr Recht auf Selbstbestimmung und Partizipation ernst. Die Projekte verbinden alle Entwicklungsbereiche, es gibt keine teilisolierten Übungen. So wird Bildung lebendig und nachhaltig.
Das Spektrum der Arbeitsweisen in Kitas ist breit gefächert. Auch wenn das Profil Ihrer Kita stärker funktional und kompetenzorientiert ausgerichtet ist, können Sie natürlich auch Projekte nach dem Situationsorientierten Ansatz durchführen. Dies erscheint gegenwärtig durchaus sinnvoll, denn die Corona-Zeit verunsichert viele Kinder. Die Beschäftigung mit diesem Lebensthema lässt die Kinder nicht allein, sondern stärkt das positive Gefühl von Zusammenhalt.
Näheres zur Unterstützung von Kindern und Eltern in der Corona-Zeit finden Sie in unserem Blog-Beitrag: Kinder sinnvoll zu Hause fördern.
Zum Weiterlesen:
Elke Heller (Hrsg.): Der Situationsansatz in der Praxis. Von Erzieherinnen für Erzieherinnen. Berlin: Cornelsen 2010.
Armin Krenz: Der Situationsorientierte Ansatz im Kindergarten. Grundlagen und Praxis. Freiburg: Herder 2005.
Hans-Günther Roßbach: Was und wie sollen Kinder im Kindergarten lernen? In: Hans-Uwe Otto, Thomas Rauschenbach (Hrsg.): Die andere Seite der Bildung. Zum Verhältnis von formellen und informellen Bildungsprozessen. Wiesbaden: SV 2008, S. 123 – 131.
Christiane Vetter: Situationsorientierter Ansatz. In: socialnet Lexikon. Bonn: socialnet 2019. www.socialnet.de/lexikon/Situationsorientierter-Ansatz
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