Problemorientierter Unterricht: Wie Sie zusammen die Lösung finden
Christine Hagemann
Wissen aktivieren, Schlüsse ziehen, Lösungswege finden – problemorientierter Unterricht legt den Grundstein für verstehendes Lernen und eigenverantwortliches Handeln.
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Die Bildungspläne für die Grundschule weisen den Erwerb von Problemlösefähigkeiten als wichtige Schlüsselkompetenz aus. Ein problemorientierter Unterricht stellt dabei besondere Anforderungen an die Lehrer. Was steckt hinter dem pädagogischen Konzept? Lesen Sie im Folgenden, wie Sie Ihren Unterricht problemorientiert gestalten.
Inhalt
1. Was ist problemorientierter Unterricht?
1.1 Welche Bildungsziele stehen an?
1.2 Worin besteht der didaktische Ansatz?
1.3 Wie unterrichte ich problemorientiert?
2. So gestalten Sie problemorientierten Unterricht fachgerecht
2.1 Wie Sie ein Problem entwickeln
2.2 Zwei Wege zur Gestaltung von Problemstellungen
2.3 Probleme lösen will gelernt sein
Welche Bildungsziele stehen an?
Im Kern geht es um die Suche nach Welterklärung, um eine Kultur des Fragens, die auf Wirklichkeitserschließung abzielt. Somit ist problemorientierter Unterricht im Prinzip fächerübergreifend. Er trägt wesentlich dazu bei, bereits im Grundschulalter eine wissenschaftliche Grundbildung anzubahnen, die für das Leben und die Mitwirkung in der Gesellschaft notwendig ist.
Problemorientiertes Lernen erweitert Kompetenten, die für den Schulerfolg genauso wichtig sind wie für lebenslanges Lernen:
- Wahrnehmungsfähigkeit
- Vorstellungsvermögen
- Reflexionsfähigkeit
- Kritik- und Urteilsvermögen
- Kommunikations- und Diskursfähigkeit
Worin besteht der didaktische Ansatz?
Ausgangspunkt ist ein vom Lehrer vorgestelltes Problem, für das die Schüler in selbstständiger Arbeit eine Lösung finden sollen. Das erfordert von den Schülern ein hohes Maß an Motivation und Eigeninitiative. Im Grundschulunterricht sollte die Ausgangssituation immer einen konkreten Bezug zur Lebenswelt der Kinder haben.
Die präsentierten Probleme lassen sich in drei große Gruppen einteilen:
- Lücken: In unserm Bild von der Wirklichkeit oder unserem Handlungsplan gibt es Lücken.
- Widersprüche: Unsere Vorstellungen oder Aussagen über die Wirklichkeit widersprechen sich.
- Kompliziertheit: Unsere Sichtweisen oder Handlungspläne sind unnötig kompliziert.
Das Konzept der Problemorientierung geht davon aus, dass Lernen generell ein konstruktiver, selbstgesteuerter, situativer und sozialer Prozess ist. Die präsentierten Probleme haben gewissermaßen eine Motorfunktion beim Lernen. Für die Lerngruppe stellen sie ein Angebot zum entdeckenden Lernen dar. Die Rolle der Lehrkraft besteht darin, dass sie die Schüler dabei unterstützt und begleitet.
Problemorientierter Unterricht fördert wichtige prozessbezogene Kompetenzen:
- genau hinschauen und Fragen stellen
- Begriffe klären und Lösungsansätze finden
- erworbenes Wissen aktiv auf neue Situationen anwenden
- Lösungsstrategien entwickeln und auf ähnliche Probleme übertragen
- Nachdenklichkeit als Lernprinzip einsetzen und Wissen vernetzen
Wie unterrichte ich problemorientiert?
Problemorientierung bedeutet nicht, dass Sie als Lehrkraft auf Instruktionen und Lenkung völlig verzichten müssten. Ausschlaggebend ist, dass Ihre Schüler Anregungen für die Bewältigung relevanter Aufgaben erhalten und Neues erfahren, das ihnen in ihrem Denken und Handeln weiterhilft. Und dabei ergeben sich immer neue Fragen, auf die sie Antworten suchen.
Das erworbene Wissen soll auch zur Lösung zukünftiger Probleme nutzbar sein. Die Kinder sollen den potenziellen Nutzen für reale Herausforderungen erkennen und verstehen. Die Kunst des Lehrers besteht darin, den Unterricht für alle Schüler erfolgreich zu gestalten.
Wenn Sie problemorientiert unterrichten, nehmen Sie viele Funktionen gleichzeitig, abwechselnd und nacheinander wahr: Sie präsentieren, erklären und strukturieren, Sie begleiten und beraten, sodass Sie die Schüler weder ständig kontrollieren noch sich selbst überlassen.
So gestalten Sie problemorientierten Unterricht fachgerecht
Problemorientierung erhöht die Qualität von Unterricht, da sie auf selbstständiges Vernetzen von Wissen abzielt, grundsätzlich eine Fragehaltung fördert und die emotionale Bereitschaft erhöht, sich auf Probleme einzulassen. Dieses Prinzip verankert fachspezifische Inhalte noch effektiver.
Problemorientiertes Denken als Unterrichtsprinzip nützt jedem Fach:
- Im Sachunterricht, vor allem in den naturwissenschaftlichen Fächern, bietet es gute Möglichkeiten, das Wissenschaftsverständnis der Schüler zu fördern.
- Im Deutschunterricht hilft es den Schülern, Zusammenhänge herzustellen und Inhalte zu beurteilen. Es fördert literarisch-ästhetisches Lernen durch stärkere Ich- Beteiligung.
- Im Mathematikunterricht macht es Rechenwege anschaulich, fördert strategisches Vorgehen und hilft den Schülern, an Sachrechenaufgaben zu arbeiten.
- Im Ethikunterricht fördert es Begriffsbildung und Urteilsvermögen. Von großer Bedeutung sind hier auch Dilemmasituationen, für die es keine eindeutigen Lösungen gibt.
Daneben fördert problemorientiertes Lernen die Kommunikations- und Teamfähigkeit und stärkt die Eigenverantwortung. Durch kalkulierte Herausforderungen im Unterrichtsgespräch unterstützen Sie nachhaltig die Bewusstseins- und Meinungsbildung Ihrer Schüler. So können die Kinder neue Problemstellungen, die eigenständige Lösungen erfordern, als eine für sie lösbare Aufgabe ansehen.
Wie Sie ein Problem entwickeln
Die Auswahl von geeigneten Problemen trägt entscheidend zum Erfolg des problemorientierten Unterrichts bei. Ein Thema wird dann zu einem Problem, wenn es einen kognitiven Konflikt hervorruft. Die Problemsituation sollte authentisch und für die Kinder bedeutsam sein. Das Problem sollte eine persönliche Brisanz aufweisen, neugierig oder betroffen machen.
Formen kognitiver Konflikte zur Problemstellung sind beispielsweise:
- Zweifel: Konflikt zwischen der Tendenz, einer Aussage zu glauben und nicht zu glauben.
- Erwartungsbruch: Eine Beobachtung widerspricht dem bisherigen Wissen.
- Ungewissheit: Mehrere Lösungen sind gleichermaßen wahrscheinlich.
- Inkongruenz: Zwei richtige Aussagen werden so verbunden, dass sie einander ausschließen.
- Irrelevanz: Konfrontation mit Behauptungen, die das Problem nur scheinbar lösen.
- Widerspruch: Divergierende Behauptungen werden auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft.
- Mehrdeutigkeit: Eine Aussage lässt sich mit gleicher Wahrscheinlichkeit verschieden deuten.
Zwei Wege zur Gestaltung von Problemstellungen
Problemorientierung kann auf zwei Weisen gestaltet werden: Zum einen durch lehrergelenkten Unterricht, bei dem Sie ein Problem entwickeln, zum anderen durch Aufgabenstellungen. Auf welche Weise Sie im Unterricht vorgehen, hängt von den Voraussetzungen der Schüler sowie den angestrebten Zielen ab.
Problementwickelnder Unterricht verläuft üblicherweise in 5 Schritten:
- Motivationsphase: Konfrontation mit der Problemstellung. Die Lerngruppe bekommt ein Experiment demonstriert und beschreibt die Beobachtungen.
- Analysephase: Das vorliegende Problem wird verortet, präzise herausgestellt und in einer Problemfrage formuliert.
- Aktivierungsphase: Auf der Suche nach einer Lösung greifen die Schüler auf vorhandenes Wissen zurück und erweitern ihre Erfahrungen durch Schülerexperimente.
- Lösungsphase: Im fragend-entwickelnden Unterrichtsgespräch werden die Lösungen der Schüler gesammelt und im Plenum diskutiert. Die Lerngruppe verhandelt eine gemeinsame Lösung.
- Übertragungsphase: Erprobung, Reflexion und Transfer. Die Schüler erproben und überprüfen die gefundene Lösung. Das Gelernte wird kognitiv integriert und die Lösung auf ähnliche Probleme übertragen.
Tipp: In allen Phasen können Sie die Kinder durch strukturierende Hilfestellung unterstützen. Geeignete Impulse zielen beispielsweise auf das Formulieren von Vermutungen, Fokussieren auf wichtige Aspekte, Hilfe beim Lesen von Karten oder Tabellen, Benennen von Beispielen.
Die Gestaltung einer Problemsituation durch Aufgabenstellungen hat sich in der Unterrichtspraxis ausgezeichnet bewährt und erweist sich als besonders vielseitige Methode. Eine Problemstellung in Aufgabenform fordert die Schüler heraus und sorgt für Entdeckermomente. Und die erfolgreiche Bearbeitung stärkt das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten nachhaltig.
Probleme lösen will gelernt sein
Das Erlernen und Einüben von Problemlösungsstrategien ist nicht so einfach, denn jedes neue Problem ist anders und verlangt nach anderen Lösungen. Doch es gibt Strategien anhand von Fragen, die trainiert und regelmäßig angewendet werden können.
Fragen beim Problemlösen sind beispielsweise:
- Worum geht es in der Aufgabe?
- Wie beschreibe ich das Problem in meiner eigenen Sprache?
- Wie lässt sich das Problem veranschaulichen? Kenne ich Beispiele?
- Habe ich ähnliche Probleme bereits gelöst? Wie habe ich das gemacht?
- Lässt sich das Problem in Teilschritte zerlegen? Wo fange ich an?
- Was kann ich aus den gegebenen Angaben folgern?
- Wie sieht mein Lösungsweg aus?
Lerngruppen, die selbstständiges Problemlösen bisher noch wenig geübt haben, benötigen Anleitung. Dabei kommt es darauf an, dass Sie Unterstützungsformen wählen, die den individuellen Voraussetzungen der Schüler entgegenkommen.
Die Vermittlung von Problemlösungsstrategien sieht folgendermaßen aus:
- Stellen Sie Bezüge zu individuellen Interessen und Vorkenntnissen her, damit die Schüler das Problem erkennen.
- Trainieren Sie eine fragende Herangehensweise, indem Sie die typischen Fragestrategien konsequent bei Impulsen verwenden, zunächst ohne sie direkt zu thematisieren.
- Bieten Sie Material an, das die Komplexität des Problems für leistungsschwächere Schüler durch gezielte Strukturierung reduzieren hilft.
- Zeigen Sie anhand von Musteraufgaben, wie die Schüler selbst bei der Problemlösung vorgehen. Ermutigen Sie die Kinder, eigene Wege und Strategien zu formulieren und zu vergleichen.
- Durch Gruppenarbeitsphasen unterstützen Sie das kooperative Lernen Ihrer Schüler.
Aufgabengesteuerte Problemlösungen erfordern planmäßiges Vorgehen und geistige Beweglichkeit. Passende Lösungsstrategien können Sie schon im Setting angeben oder als Lernhilfen bereitstellen. Wenn die Schüler bereits ähnliche Probleme gelöst haben, kann eine Erinnerung sinnvoll sein. Die Lösungsansätze müssen abschließend im Plenum thematisiert werden.
Was wäre, wenn? Zum Denken herausfordern
Gespräche über Probleme, in denen gemeinsam Lösungsideen entwickelt werden, spielen im problemorientierten Unterricht eine wichtige Rolle. Als Methode empfiehlt sich das moderierte Sokratische Gespräch. Die Lehrperson verhält sich dabei geduldig abwartend, um den Gedanken der Kinder Raum zu geben.
Kinder treffen in ihrem Umfeld auch auf Probleme, die sich nicht lösen lassen. Nachdenkgespräche können helfen, die Verunsicherung zu bewältigen. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass es auf manche Fragen keine eindeutigen Antworten gibt – und dies auszuhalten. Wichtiger als eine bestimmte Lösung ist hier, dass Kinder Orientierung im Denken finden.
Gedankenexperimente regen Kinder ganz besonders zum Denken an. Dabei bilden sie Fähigkeiten aus, die sie nicht nur in der Schule benötigen, wie etwa Vorstellungskraft und Deutungskompetenz. Neugier und fiktionales Denken sind die Triebfedern für wissenschaftliches Forschen. Hierfür bietet problemorientierter Unterricht ein wichtiges Lern- und Übungsfeld.
Zum Weiterlesen:
Christina Beinbrech: Problemorientierter Sachunterricht. In: Joachim Kahlert u. a. (Hrsg.): Handbuch Didaktik des Sachunterrichts. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2015, S. 398 – 402.
Wassilios E. Fthenakis: Frühe naturwissenschaftliche Bildung. Reihe: Natur-Wissen schaffen, 3. Braunschweig: Westermann 2013.
Eva-Maria Lankes: Problemorientiertes Lernen. In: Wolfgang Einsiedler u.a. (Hrsg.): Handbuch Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2011, S. 372 – 375.
Josef Leisen: Aufgabenkultur im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht. In: Der mathematische und naturwissenschaftliche Unterricht (MNU) 5, 2006, S. 260 – 266.
Eva Marsal u. a. (Hrsg.): Ethische Reflexionskompetenz im Grundschulalter. Konzepte des Philosophierens mit Kindern. Bern: Peter Lang 2007.
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