Sexualkunde in der Grundschule: Ohne Storch, sondern behutsam und im Klartext
Christine Hagemann
Sexualkunde gehört zu den Lehrplaninhalten für Grundschulen. Doch in der Praxis machen Grundschullehrer die Erfahrung, dass Sexualerziehung oft ein heikles Thema ist.
© Kaesler Media, Adobestock.com
Ihre Klasse ist sicherlich neugierig auf den Sexualkundeunterricht und wird Ihnen trotz Kichern aufmerksam zuhören. Meist sind es eher die Bedenken von Elternseite, die Lehrern zeigen, dass Sexualkunde eben doch kein Lehrplanthema wie jedes andere ist. Lesen Sie in diesem Beitrag, wie Sie mit dem sensiblen Thema Sexualerziehung in der Grundschule sicher umgehen.
Inhalt
1. Darum ist frühe Sexualerziehung sinnvoll
1.1 Wie gehe ich mit möglichen Bedenken der Eltern um?
1.2 7 Gründe für Sexualkunde in der Primarstufe
2. Können Eltern ihr Kind vom Sexualkundeunterricht abmelden?
3. Wie vermittle ich Sexualkunde souverän? Tipps für den Aufklärungsunterricht
Schulische Sexualerziehung versteht sich als Bildung für sexuelle Selbstbestimmung.
Wichtig ist daher, Sexualität nicht nur unter biologischen, sondern auch unter ethischen, sozialen und kulturellen Aspekten zu behandeln.
7 Gründe für Sexualkunde in der Primarstufe:
- Sich selbst verstehen lernen
Im Grundschulalter grenzen Mädchen und Jungen sich oft heftig voneinander ab und äußern das auch: Jungs sind einfach doof, Mädchen sind zickig. Doch das gegenseitige Provozieren verrät, dass da durchaus Reize im Spiel sind. Gerade Grundschulkinder benehmen sich immer wieder übertrieben mädchen- oder jungenhaft. Experten sehen darin eine Selbstvergewisserung, um sich selbst verstehen zu lernen.
- Sexualität in den Medien
Was bedeutet es, wenn von Sex die Rede ist? Im Grundschulalter bekommen Kinder viel davon mit, dass es in Zeitschriften oder im Fernsehen immer wieder um Sexualität geht. Das Thema interessiert Kinder und sie suchen nach Informationsquellen. Sie hören, was Ältere reden oder sie stöbern heimlich im Internet. Nicht selten stoßen sie bei ihrer Eigenrecherche auf unverständliche, sogar verstörende pornographische Inhalte. Der Unterricht bietet ihnen einen geschützten Rahmen, die Informationsflut vertrauensvoll anzusprechen und zu sortieren.
- Sexualität hat viele Ausdrucksformen
Sexuelle Neugier gehört in altersgemäßen Ausdrucksformen von klein auf zu Mädchen und Jungen. Manche Dritt- und Viertklässler tauschen heimlich erste Zärtlichkeiten aus. Jedes zweite Kind in diesem Alter weiß genau, wie sich Verliebtsein anfühlt. Kinder nehmen ihre Liebesbeziehungen sehr ernst. Sie genießen die körperliche Nähe, auch wenn ihnen diese Form von Nähe noch fremd und unheimlich ist.
- Sexualerziehung ist mehr als biologische Aufklärung
Sexualaufklärung meint üblicherweise, mit Kindern über biologische Vorgänge bei Zeugung, Schwangerschaft und Geburt zu sprechen. Gerade das, was mit „Zeugung“ ja nur angedeutet ist, weckt die Neugier. Alle reden darüber, aber keiner weiß genau Bescheid. Da Kinder noch nicht alles begreifen, was Erwachsene da machen, sollte das Sprechen darüber ihrem Alter und Entwicklungsstand angemessen sein.
- Auf dem Weg in die Pubertät
Die Pubertät beginnt nicht schlagartig. In der sogenannten sozialen Pubertät werden Mädchen und Jungen bereits während der Grundschulzeit zunehmend selbstständiger und unabhängiger von den Eltern. Auch die Geschlechtsreife deutet sich oft früher an, als Eltern vermuten. Im Sexualkundeunterricht lernen Kinder, eine positive Haltung zum eigenen Körper zu entwickeln.
- Bereits im Alter von 8 oder 9 Jahren können sich erste körperliche Anzeichen der Pubertät zeigen. Auch wenn das Kind äußerlich noch nicht den Anschein macht, weit entwickelt zu sein. Bedenkt man, dass bereits bei einigen 9- und 10-jährigen Mädchen die Menstruation einsetzt, gewinnt die Aufklärung über Sex und Verhütung zusätzlich an Gewicht. Der Unterricht hilft Kindern, dem Erwachsenwerden angstfrei zu begegnen.
- Geschlechterrollen kennenlernen
Grundschulkinder erleben in ihrem Umfeld unterschiedliche Familienmodelle. Da gibt es Kinder, die bei Vater und Mutter, bei einem Elternteil, bei zwei Vätern oder zwei Müttern aufwachsen. Ein wichtiger Aspekt der Sexualerziehung ist, Akzeptanz für die verschiedenen Formen sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität zu vermitteln. Das Sprechen darüber hilft, Vorurteilen selbstsicher zu begegnen, und gibt Kindern Orientierung für ihr eigenes Leben.
- Gegen sexuelle Übergriffe wappnen
Die Aufgabe von Sexualerziehung ist, Kindern einen selbstbestimmten Start ins Sexual- und Beziehungsleben zu ermöglichen, aber auch die Prävention vor sexueller Gewalt. Die Kinder lernen, dass jeder Mensch für sich – und nur selbst – bestimmt, wo die Grenze ist, und wie sie klar NEIN sagen. Aufklärung leistet einen wichtigen Beitrag, damit Kinder besser vor Missbrauch geschützt sind und lernen, sich im Notfall einer Vertrauensperson mitzuteilen.
Können Eltern ihr Kind vom Sexualkundeunterricht abmelden?
Die Schule ist zur besonderen Rücksicht gegenüber den religiösen und weltanschaulichen Wertvorstellungen der Eltern zu Fragen menschlicher Sexualität verpflichtet. Was bedeutet das für den Aufklärungsunterricht? Gerade dieses Fach stellt die Erziehungspartnerschaft von Elternhaus und Schule häufig auf eine harte Probe.
Einige Eltern betonen ihr Erziehungsrecht und lehnen die Sexualaufklärung ihrer Kinder durch Außenstehende ab. Andere äußern aus kulturellen oder weltanschaulichen Gründen Vorbehalte gegen einzelne Themen, etwa wenn es um sexuelle Vielfalt geht. Manche stören die naturgetreuen Abbildungen. Vielen Eltern erscheint der Zeitpunkt zu früh.
Eltern haben ein Recht auf Mitsprache und sicherlich lassen sich in manchen Streitpunkten Kompromisse finden. Doch grundsätzlich gilt: Sexualkunde ist für alle Schüler Pflicht. Ein Anspruch auf Befreiung von diesem Unterricht besteht nicht. Urteile deutscher Gerichte – und im Jahr 2011 auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte – haben dies klargestellt.
Wie vermittle ich Sexualkunde souverän? Tipps für den Aufklärungsunterricht
Da kein einheitliches Konzept besteht, bleibt viel Raum für die individuelle Gestaltung des Unterrichts. Zum Teil sind Themenschwerpunkte durch den Lehrplan oder den schulinternen Stoffverteilungsplan vorgegeben. An vielen Schulen sieht die grobe Themenabfolge so aus:
Sexualkunde Klasse 3:
Projekt: Mein Körper gehört mir
- Das bin ich
- Umgang mit Gefühlen
- Gefahren durch Medien
- Verhalten bei sexueller Belästigung
Sexualkunde Klasse 4:
Themenkomplex Zeugung, Schwangerschaft, Geburt
- Veränderungen in der Pubertät
- Bezeichnungen für die Geschlechtsorgane
- Ein Embryo wächst heran
- Körperpflege und Hygiene
Doch wie klärt man Kinder auf, ohne dass die ganze Klasse in Scham versinkt oder in kollektives Gekicher ausbricht?
Schaffen Sie eine gemeinsame Basis. Dafür ist es wichtig, einen klaren Rahmen für das Verhalten im Sexualkundeunterricht abzustecken. Vor allem für den respektvollen Umgang miteinander. Vereinbaren Sie mit der Klasse feste Regeln:
- Niemand macht sich lustig über die Aussagen eines anderen, weder laut noch leise.
- Was wir im Unterricht sagen, wird nicht nach außen getragen.
- Jeder darf ausreden.
- Niemand muss reden.
- Alle verwenden eine sachliche Sprache.
So bekommen die Kinder das Gefühl, ihre Fragen zum Thema Sexualität ungezwungen und in einem sicheren Raum stellen zu können.
Vorwissen testen
Auch wenn die Kinder ungefähr gleichaltrig sind, können Vorwissen und Entwicklungsstand individuell sehr unterschiedlich sein. Um sich einen Überblick zum Wissensstand der Gruppe zu verschaffen, können Sie mit einem Quiz zum Thema Pubertät beginnen. Wissenstests steigern die Gesprächsbereitschaft und eignen sich deshalb gut als Einstieg in den Sexualkundeunterricht.
Auch jüngere Kinder wissen meist, dass Babys im Bauch der Mutter wachsen. Den komplexen Zusammenhang zwischen Zeugung und Schwangerschaft begreifen sie allerdings noch nicht. Hier kommt es auf Ihre Behutsamkeit an. Kinder müssen nicht alle Details wissen, sie wollen aber auch nicht mit schwammigen Umschreibungen abgespeist werden. Bienchen und Blümchen sind ebenso wenig hilfreich wie eine Geschichte über den Klapperstorch.
Tipp: Stellen Sie eine Fragenbox auf. Das ermutigt schüchterne Kinder, ihre Fragen zu stellen. Und Sie haben Gelegenheit, die Zettel vorab zu sichten und Antworten zu überlegen.
Gehen Sie möglichst auf alle Fragen der Kinder ein. Allerdings sollten Sie auch auf alberne Zwischenrufe gefasst sein. Bleiben Sie gelassen und reagieren Sie nicht verletzend. Verwenden Sie immer eine neutrale und klare Sprache.
Mädchen und Jungen getrennt unterrichten
In manchen Klassen ist es sinnvoll, bestimmte Sexualkundethemen geschlechtergetrennt zu behandeln. Häufig trauen sich Mädchen und Jungen so eher, über Sexualität offen zu sprechen. Und nicht zuletzt erleichtern Sie dadurch auch kritisch eingestellten Eltern, mit der schulischen Sexualerziehung einverstanden zu sein.
Empfehlungen:
Top-Kategorien:
Schulmöbel
Lehrmittel
Lehrerbedarf
Besonders beliebt:
Lärmampel
Tafelkreide
Dokumentenkamera
Zum Weiterlesen:
Gisela Braun, Martina Keller: Ich sag NEIN. Arbeitsmaterialien gegen den sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen. Mühlheim: Verlag an der Ruhr 2008.
Martin Gnielka: Über Sexualität reden. Zwischen Einschulung und Pubertät. Broschüre der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. https://shop.bzga.de/ueber-sexualitaet-reden-zwischen-einschulung-und-pubertaet-13660300/
Karin Grosse, Birgit Wirth: Sexualerziehung und Präventionsarbeit in der Grundschule. München: pb 2005.
Tina Konz, Sandra Sommer: Sexualerziehung an Stationen. Übungsmaterial für die Klassen 3 und 4. Augsburg: Auer 42018.
Annette Weber: Praxishilfen zur Sexualerziehung in der Grundschule. Mühlheim: Verlag an der Ruhr 2008.
Gibts auch ein Gesicht hinter dem BACKWINKEL-Blog? Ja. Vier ?. Drei davon sogar mit Foto.
Wir – Lukas, Tatjana, Stefan und Christine – bespielen unseren Blog unter dem Motto LACHEN LESEN LERNEN.
Lukas kennt sich online so gut aus wie in seiner Westentasche und findet immer spannende Themen, während Stefan unseren Beiträgen den passenden gestalterischen Rahmen gibt und Tatjana mit dem grünen Korrekturstift alles prüfend beäugt, was unsere Autorin Christine (und gern auch Gastautoren) für den BACKWINKEL-Blog nach ordentlicher Recherche schreibt.
Gemeinsam suchen wir ständig nach neuen, aufregenden Themen rund um das Thema Bildung im Kiga, der Schule und zu Hause. Und weil Sie da an der Quelle sitzen, freuen wir uns auf Ihre konstruktiven Rückmeldungen und Anregungen an blog@backwinkel.de
Viel Spaß beim LACHEN LESEN LERNEN!