Was ist Prüfungsangst?
Da es viele hervorragende Internetseiten und Artikel gibt, die sich eingehend mit Prüfungsangst, ihren Merkmalen, Ursachen und Folgen befassen, beschränken wir uns hier auf einen groben Überblick.
Angst vor Prüfungen oder wichtigen Terminen wie Bewerbungsgesprächen kennen auch die meisten Erwachsenen. Viele sind erst mit den Jahren entspannter geworden. Als Kind kann man deutlich schlechter damit umgehen: Man hat weniger Erfahrung und Vergleichsmöglichkeiten, kaum Bewältigungsstrategien, kaum Entscheidungsmöglichkeiten oder die Option, Prüfungen gänzlich zu vermeiden.
Daher liegt der Fokus in diesem Beitrag darauf, Kindern zu helfen, ihre Angst in den Griff zu bekommen: damit sie glücklicher sind, hoffentlich gerne lernen, zur Schule gehen und auch im späteren (Schul-)Leben Herausforderungen besser bewältigen.
Natürlich (und viel zu oft leider) haben Sie als Lehrkraft wenig Einfluss auf das Elternhaus ihrer SuS. Sie können trotzdem eine Menge tun. Nachfolgend lesen Sie, was das ist.
Merkmale von Prüfungsangst
Es gibt eine Reihe typischer Merkmale, die die meisten von uns schon am eigenen Leib erfahren haben. Dazu gehören:
- Schwitzen, frieren oder zittern
- Unwohlsein, Übelkeit, Appetitlosigkeit, bis hin zum Erbrechen
- Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, auch nicht näher definierbare Schmerzen und Verspannungen
- Prokrastination und Verdrängung
- Herzklopfen bis hin zu Herzrasen, erhöhter Blutdruck
- Kreislaufprobleme
- innere Unruhe, negative Gemütsverfassung
- Schlaflosigkeit, Albträume
- Konzentrationsschwierigkeiten
- geistige Blockaden, Blackouts
- z. T. Erschöpfung aufgrund des Stresses
Platt gesagt: Angst ist ein sehr unangenehmes Gefühl, das niemand gerne hat. Wenn es sich nicht gerade um einen Fall von milder Prüfungsangst handelt, ähneln die Symptome einer Krankheit. Und niemand sollte sich krank einer Prüfung stellen müssen. Doch jeden Tag tun es unzählige Schülerinnen und Schüler.
Ursachen von Prüfungsangst
Die Ursachen können sehr individuell sein und bei vielen Menschen kommen verschiedene Faktoren zusammen. Dazu zählen u. a.:
- ein negatives Selbstbild
- ein wenig ausgeprägtes Selbstbewusstsein
- Stress oder Angst im Allgemeinen
- falsche oder für das Kind ungeeignete Lernstrategien
- schlechte Vorbereitung, vielleicht durch Unvermögen, mangelnde Gelegenheit, ein forderndes Familienumfeld
- Versagens- bis hin zu Zukunftsangst
- unzureichende Vermittlung des Lernstoffs
- Perfektionismus
- negative Lernerfahrungen oder vorangegangene schlechte Noten
- zu hohe Erwartungen an sich selbst
- zu hohe Erwartungen des Umfelds
- Angst vor Strafe, z. B. durch die Eltern oder auch durch mobbende Mitschüler
- Leistungsdruck
- Überforderung
- Lernschwierigkeiten, Lernschwächen, Lernbehinderungen oder auch Hochsensibilität, Hochbegabung usw.
- psychische Erkrankungen
- Missbrauch (psychisch, physisch, sexualisiert)
Folgen von Prüfungsangst
Die gute Nachricht: Vieles wächst sich aus. Kinder sind besonders vulnerabel, mitten in der Entwicklung und der Persönlichkeitsfindung. In der Grundschule ist ein kleiner Streit mit dem besten Freund manchmal schon das Ende der Welt.
Trotzdem hat auch leichte und / oder vorübergehende Prüfungsangst Folgen, die die Angst wiederum verstärken, z. B. diese hier:
- schlechte Noten durch Blockaden und Blackouts
- z. T. immenser Stress schon Tage oder Wochen vor einer Arbeit
- Lern- oder Schulunlust
- wachsende Überforderung
- z. T. Strafen
In krasseren Fällen leidet die Gesundheit deutlich, das negative Selbstbild verfestigt oder verschlimmert sich, die Angst greift auf andere Bereiche über, das Kind schwänzt oder verweigert Lernen bzw. (Klassen-)Arbeiten, entwickelt Schulangst usw.
Tipps und Tricks gegen Angst vor Prüfungen
Da Prüfungsangst viele verschiedene Gründe hat, gibt es auch kein Patentrezept, das jedem Menschen hilft. Einige Ansätze können die Angst lindern oder den Kindern zumindest verdeutlichen, dass sie nicht allein sind. Ein paar Ideen, wie Sie Ihren SuS beistehen können, sind im Folgenden zusammengefasst.
Für weitere Tipps lesen Sie gern unseren Beitrag »Resilienz fördern: Wie Sie Ihren Kindern dabei helfen, psychische Widerstandskraft zu entwickeln«.
Über Ängste sprechen
Ängste machen einsam, weil sie häufig auch mit Scham verbunden sind. Betroffene glauben vielleicht, mit diesem Problem allein dazustehen oder haben beobachtet, wie andere Schüler mit Prüfungsängsten verspottet wurden.
Machen Sie die Angst zum Thema – vielleicht auch schon, bevor Sie überhaupt merken, dass der eine oder andere an Prüfungsangst leidet. Stellen Sie Ihren SuS Fragen:
- Wie bereitet ihr euch auf Klassenarbeiten vor? Braucht ihr dabei konkrete Hilfe, z. B. einen Lernplan? Habt ihr einen ruhigen Ort und genug Zeit zum Lernen? (Falls nein, sprechen Sie mit den Erziehungsberechtigten und bieten Sie, sofern irgend möglich, den Kindern einen Rückzugsort in der Schule an, um sich konzentrieren zu können.)
- Wie fühlt ihr euch am Abend bzw. Morgen vor einer Arbeit? Nur ein bisschen aufgeregt oder habt ihr Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Übelkeit? (Falls ja, vertiefen Sie das Thema Prüfungsangst, suchen Sie das Gespräch mit den Eltern und erwägen Sie, professionelle Hilfe einzubinden.)
- Wie fühlt ihr euch während der Arbeit? (s. o.)
- Kennt ihr Blockaden oder Blackouts, wenn euch einfach nichts mehr einfällt?
- Wie reagieren eure Eltern auf gute bzw. schlechte Noten?
- Wie wichtig sind gute Noten für euch selbst?
- Fühlen sich für euch alle Arbeiten gleich an oder ist Mathe z. B. entspannter als Deutsch?
- Welche Ideen habt ihr selbst, wie ihr weniger nervös sein könntet?
- Weswegen genau seid ihr überhaupt nervös – ist es wirklich während der Note?
Um das Eis zu brechen, eignet sich eine Geschichte zu dem Thema, ob erfunden oder aus einem Buch. Oder Sie sprechen einfach von Ihren persönlichen Erfahrungen und hangeln sich z. B. durch die obigen Fragen. So schaffen Sie Vertrauen, ermutigen die Kinder, sich zu öffnen und vermitteln auch den Stillen das Wichtigste: Du bist nicht allein, ich verstehe dich!
Entspannungstechniken gegen Ängste
Dafür muss man der Typ sein. Es gibt Menschen, die mit Atemtechniken, autogenem Training oder Meditation einfach gar nichts anfangen können. Vielleicht hilft ihnen stattdessen laute Musik, körperliches Auspowern, die Lieblingsbeschäftigung oder auch eine halbe Tafel Schokolade (manchmal heiligt einfach der Zweck das Mittel). Sprechen Sie also auch darüber und finden Sie heraus, was ganz individuell hilft – durch Fragen oder indem Sie einfach unterschiedliche Methoden vorstellen.
Das können auch sehr konkrete Tipps sein:
- Lest euch erst die ganze Arbeit durch und fangt mit dem an, was ihr am besten könnt.
- Wenn ihr eine Aufgabe nicht lösen könnt, ist das okay. Schaut eine Minute aus dem Fenster, denkt an etwas Schönes und versucht es dann noch mal, vielleicht klappt es ja. Dasselbe gilt bei einem Blackout: All euer Wissen ist noch da, es traut sich nur nicht raus, wenn ihr nervös seid.
- Fragt euch, was Schlimmes passieren kann, wenn ihr eine nicht so gute Note schreibt: Verliert ihr etwas, das euch wichtig ist, werdet ihr krank oder stürzt euer Haus ein? (Sollte die Antwort etwas Ähnliches sein wie: „Nein, aber die Mama wird dann ganz böse“, müssen Sie selbstredend mit den Eltern sprechen.)
- Niemand kann alles. Es ist völlig okay, wenn euch ein Fach nicht so liegt. Dafür könnt ihr was anderes toll. Erzählt mal, worin ihr gut seid – was macht euch Spaß?
Erzählen Sie auch hier von sich: In welchen Situationen sind oder waren Sie nervös? Was hilft Ihnen gegen Stress? So merken die Kinder, dass Nervosität weder dramatisch noch außergewöhnlich ist und es Möglichkeiten gibt, damit umzugehen.
Vielleicht lohnt sich auch eine Klassensatz an Stressbällchen. So hat gleich jedes Kind seinen persönlichen Glücksbringer, der ihm während der Arbeit beisteht. Wenn die Helferlein nicht gebraucht werden, wohnen sie eben als bunte Deko im Klassenregal. Natürlich können die Kinder sich auch ihren persönlichen Talisman basteln oder mitbringen.
Belohnen Sie Ihre SuS nach einer Arbeit. Das muss nichts Großes sein – vielleicht eine Traumreise, eine Vorlesestunde, eine bewegte Pause. So fällt die Anspannung auch von den Geplagtesten ab und sie haben etwas, worauf sie sich freuen können. Um die Nerven vor der Arbeit zu beruhigen: Malen Sie doch gemeinsam ein Mandala aus oder bewegen sich ein bisschen.
Probe-Tests und Fragestunden lindern Prüfungsangst
Manchmal gründet sich Prüfungsangst auf der Angst vor dem Unbekannten. Sicher wird in Arbeiten das abgefragt, was im Unterricht durchgenommen wurde – aber eben nicht genau diese Aufgaben. Als Kind kann das reichen, um sich unsicher zu fühlen.
Je öfter man in dieselbe Situation kommt, umso souveräner wird man. Wenn Sie es also einrichten können, bieten Sie den Kindern an, Probearbeiten zu schreiben, die Sie im Anschluss besprechen, Fragestunde inklusive. Das muss nicht immer der Fall sein, denn im Schulalltag bleibt sowieso zu wenig Zeit für das Nötigste.
Doch wenn Sie merken, dass die Kinder sich bei einem Thema besonders unsicher fühlen, immer wieder Fragen stellen, die Hausaufgaben nicht bewältigen können, vielleicht sogar fragen, ob Sie die Arbeit nicht verschieben können, kann diese Methode Ihnen allen viel Stress nehmen. Die investierte Zeit lohnt sich angesichts der Gefahr, dass sich anderenfalls Ängste verstärken oder Wissenslücken bilden. Außerdem macht es ja viel mehr Spaß, gute Arbeiten zu korrigieren.
Tricks für mehr Gelassenheit während der Arbeiten
Schaffen Sie eine angenehme Atmosphäre. Spätestens während längerer Klausuren an weiterführenden Schulen ist es Standard, dass die SuS trinken und essen dürfen. Warum nicht auch früher? Denn wahrscheinlich endet auch nicht jede Frühstückspause in einer wilden Kakao-Schlacht, der Bücher und Hefte zum Opfer fallen. Zudem kann es helfen, sich mit dem Knabbern einer Möhre abzulenken, während man darauf wartet, dass einem die Lösung einfällt. Auch Kaugummikauen fällt in diese Kategorie.
Seien Sie ansprechbar für Fragen und helfen Sie während der Arbeit dezent, wenn es völlig hakt. Fragen Sie Ihre SuS, ob es sie nervös macht, wenn Sie durch den Raum laufen. Falls ja, tun Sie es nicht. Sie sehen ja auch vom Pult aus, falls jemand spicken oder abschreiben sollte.
Tolerieren Sie eventuelle Eigenarten Ihrer Kinder während der Arbeit. Wer zwischendurch als Übersprungshandlung in seiner Tasche kramt, plant nicht gleich einen Betrug. Wer ein paar Minuten aus dem Fenster schaut oder in die Luft starrt, versucht vielleicht, den Kopf freizubekommen oder sich zu konzentrieren. Wer anfängt zu kippeln, kann das vielleicht durch Fußwippen oder einen Stressball kompensieren, ohne sich zu gefährden oder andere abzulenken. Und wer während der Arbeit zur Toilette muss, egal ob aus Nervosität oder um durch einen Szenenwechsel den Kopf freizubekommen, weil die Situation schlecht auszuhalten ist, darf natürlich gehen. Sie wissen ja auch nie, ob nicht eine körperliche oder psychische Ursache dahintersteckt. Natürlich reden wir hier nicht von Kindern, die notorisch jeden Tag während des Unterrichts auf die Toilette wollen.
Wenn nichts gegen starke Prüfungsangst zu helfen scheint
Falls Sie merken, dass z. B. einzelne Kinder körperliche Beschwerden oder komplette Blackouts haben, am Tag der Arbeiten häufig krank sind und alle kleinen Tricks nicht fruchten, ist es an der Zeit, psychologische Hilfe anzuregen. Reden Sie mit dem Kind, tauschen Sie sich mit dem Kollegium aus, schalten Sie einen Schulpsychologen ein, sprechen Sie mit den Erziehungsberechtigten.
Stress ist nicht nur Gift für die Gesundheit, sondern kann dazu führen, dass die Angst weiter wächst, sich in andere Bereiche ausdehnt, immer irrationaler wird. Je früher Sie handeln, umso schneller kann es besser werden. Und das muss immer das Ziel sein.